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Ein Schmuggler erzählt

In der Schweiz ist immer alles legal

In den 1960er Jahren brachten Schmuggler tonnenweise Kaffee & Zigaretten aus der Schweiz nach Italien, verdienten dabei gut und füllten obendrein die AHV-Kasse. Das hiess in der Schweiz nicht Schmuggel, sondern vornehm Export II.

Beim Abschied, unter der Haustür des Bauernhauses in Lichtenberg im oberen Vinschgau, mischt sich auch die Ehefrau ein. «Das hat er mir aber erst in der Hochzeitsnacht gestanden. Zuvor hat alles harmloser getönt.» Am Hochzeitsfest hatten Schmugglerkollegen eine Einlage geboten, auch Schüsse fielen. «Mein Mann hat mir versprochen, nie mehr zu schmuggeln.» Das Versprechen fiel nicht allzu schwer, denn die fetten Jahre des Ausfuhrschmuggels von Zigaretten und Kaffee aus der Schweiz nach Italien waren vorbei. Zuvor, von 1961 bis 1972, war dieser Schmuggel hochrentabel. Ein Päckchen Zigaretten kostete in der Schweiz rund 75 Rappen, derweil die nationalen italienischen Marken etwa doppelt so teuer waren. 1972 brach dieses Geschäft ein, weil der Lira-/Franken-Kurs nicht mehr attraktiv war und die Schweizer Tabaksteuer erneut angehoben wurde. «Der Schmuggler», der uns zwei Stunden lang von den alten Zeiten erzählte, möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Seine Geschichte schon. Sechzehn Taglöhne in einer Nacht «Das erste Mal bin ich 1961 gegangen. Da war ich schon ein paar Jahre über dem Mindestalter von sechzehn, das die Schweizer verlangten. Wir sind legal in die Schweiz eingereist, mit den Lire-Noten für den Kauf der Zigaretten, und fuhren nach Santa Maria. Dort führte Otto Cazin die Ablage des Basler Grossisten Weitnauer und auf dem Pass Umbrail einen Kiosk. Cazin war der Export-II-Unternehmer im Münstertal. In der Schweiz war alles legal, mit den Schweizer Zöllnern verstanden wir uns gut. Wichtig war, dass Cazin die Ausfuhr der Schmuggelware – meistens Zigaretten – bis 18 Uhr deklarierte. Erst in Italien war alles illegal, dort durfte man sich nicht erwischen lassen.** Entweder heuerte man als Träger an und erhielt vom Capo für einen Gang 15 000 Lire (rund 92 Franken). Wer nicht nur die Last von 38 Kilogramm, sondern auch das Risiko tragen wollte, kaufte bei Cazin für 131 000 Lire auf eigene Rechnung tausend Päckchen Zigaretten – so viel trug man in einem Pinggl, in einer Bricolla. Dafür kriegte man dann in Lichtenberg oder Prad 180 000 Lire – ein schöner Gewinn. Ein Waldarbeiter verdiente 3000 Lire im Tag, also sechzehnmal weniger als wir in einer Nacht. Das waren die Preise und Löhne 1961. Später stiegen diese schrittweise. Man bezahlte direkt auf die Hand, ohne Belege.» «Der Schmuggler» ging oft mit der Gruppe von Hubert Riedl, dem unbestrittenen Lichtenberger Schmugglerkönig. Ob er gewusst habe, dass er mit jedem Gang die staatliche Altersvorsorge der Schweiz, die AHV, mit 400 Franken unterstützt habe? Nein, davon höre er zum ersten Mal. «Meistens gingen wir zu siebt oder zu acht, manchmal auch in Gruppen bis zu achtzehn, neunzehn Burschen und Männern. Die Pinggl hielt Cazin fertig verpackt bereit. Am liebsten hatten wir die Zigarettenmarke ‹Ernte 23›, die waren am leichtesten. Mit den schweren ‹Turmac› sind wir oft unten raus, dem Rombach entlang. Wie so ein Gang ablief? Man packte nach dem Tagwerk Speck, Käse, Brot und eine Flasche Wein in den Rucksack, trank in Lichtenberg noch eins im ‹Weissen Rössl›, wo auch die Finanzer einkehrten. Dann fuhren wir nach Santa Maria, wo es in unserem Stammlokal Alpina oft hoch zu und her ging. Wenn es draussen kalt war, kaufte man noch eine Schokolade und einen Wacholder für unterwegs. Wir gingen in der Nacht, wir mussten noch im Dunkeln ankommen. Die meistbegangene Route war jene über die Rifair Scharte.» Die Route wählen auch wir für unsere Wanderung, bei Tag und mit weniger als zehn Kilo auf dem Rücken. Eine nahrhafte Route, mit 1300 Höhenmeter rauf und 1600 runter. Und mit einem fantastischen Ausblick von der Scharte in den oberen Vinschgau. ### **Schüsse um die Ohren** «Entweder gingen wir bei Müstair neben dem Rombach über die Grenze, oder ein Mitarbeiter von Cazin fuhr uns ein Stück weit hinauf, und wir verliessen die Schweiz viel weiter oben. Oft machten wir zwei oder drei Gänge die Woche, manchmal auch sechs, ausser am Sonntag, da war bei den Schweizern Ruhetag. Wir gingen das ganze Jahr, auch im Winter. Wenn es schneit, wenn man nur kurz die Orientierung verliert, ist man verloren, man geht im Kreis. Im Sommer lief weniger, dann arbeiteten viele in der Schweiz auf einer Alp oder beim Heuen. Ja, man hörte schon mal Kugeln pfeifen, auch um die Ohren. Wenn man von einer Finanzerpatrouille überrascht wurde, warf man die Last ab und flüchtete. Wir kannten das Gelände weit besser als die Finanzieri, erst recht im Dunkeln. Einmal verloren wir so achtzehn Pinggl. In der Zeitung war dann nur von fünfzehn die Rede. Es war ein offenes Geheimnis, dass auch die Finanzer ihr Gehalt etwas aufbesserten. Man ging wie die italienischen Muli, regelmässig, im Trott. Es war eine Schinderei, nichts für Muttersöhnchen und Wehleidige. Zimperlich ging es nicht zu und her, eine gewisse Disziplin musste sein. Schlau ist man schon geworden, von Jahr zu Jahr schlauer. Es war eine reine Männersache. Die Frauen haben uns im Tal unterstützt, etwa wenn sie ausrichten gingen, wo und wann man sich treffe. Die geschmuggelten Zigaretten übergab man einem Chauffeur, der sie im Auftrag der Abnehmer nach Mailand oder Rom fuhr. Ja, es war wie eine Sucht, es gab einem ein Gefühl von Überlegenheit, von Stärke. Wir waren die Sieger. Angst darf es nicht geben, sonst hat man verloren. Über ein Jahrzehnt lang dauerte der Boom, bis 1972, dann kam der Zigarettenschmuggel über die Berge zum Erliegen. Zur gleichen Zeit besserten sich die Verhältnisse in Südtirol, 1972 trat die Autonomie in Kraft. Heute geht es uns Südtirolern gut, auch ohne Schmuggel.» ### **Ein Kranz für Hubert Riedl** So weit «der Schmuggler». Natürlich gab er auch eine Anekdote zum Schmugglerkönig Hubert Riedl zum besten. Aber erst, als wir den Namen erwähnen. Von Hubert erzählt uns auch Fanny, die beinahe so legendäre Wirtin des ‹Weissen Rössl› zu Lichtenberg. «Das hier war die Schmugglerzentrale», klärt sie uns auf, noch bevor sie das Bier fertig gezapft hat. «Für die Schmuggler gab es einen Hintereingang über eine Stiege.» Wir verlassen Lichtenberg nicht ohne einen Rundgang auf dem Friedhof, verneigen uns kurz vor dem Grab von Riedl. Und überlegen uns, das nächste Mal einen Kranz mit Schleife mitzubringen: «Ein Dankeschön von den Schweizer AHV-RentnerInnen». Die Riedls Gruppe Millionen verdanken. Von Ursula Bauer und Jürg Frischknecht

 

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